Xxii. §. 7. Gottes Bußgericht in Deutschland. 447
Gnade schrieen. Wie es schon 100 Jahre früher in Italien und von
dorther auch in Deutschland Sitte geworden war, so vereinigten sich
auch jetzt wieder große Schaaren zu schweren Bußübungen nach der
Weise der damaligen Zeit. Mit entblößtem Rücken und verhülltem
Haupte gingen sie paarweise einher, und schlugen sich selber mit har-
ten Riemen dergestalt, daß das Blut auf den Boden herabfloß. Tau-
sende zogen so aus einer Stadt in die andere, geführt von Geist-
lichen mit Kreuzen und Rauchfässern. Aus den Straßen und in den
Kirchen lagerte die Menge, sich geißelnd, ihre Sünden bekennend,
Litaneien singend und um Erbarmen schreiend. Und wohl mochten
sie Ursache haben, sich also zu demüthigen, denn die Sünden der da-
maligen Zeit waren entsetzlich und schrieen gen Himmel. Wie konnte
es auch anders sein, da so lange kein Kaiser, kein König, keine allge-
mein anerkannte Obrigkeit dagewesen war, welche Recht und Gerech-
tigkeit nachdrücklich hätte handhaben können. Die Geistlichkeit, welche
der Rohheit und Zuchtlosigkeit unter dem Volke hätte wehren und
auf die Verbesserung der sittlichen Zustände hätte hinwirken sollen,
war selbst unglaublich tief gesunken. Die meisten Priester konnten
kaum lesen, lebten in offenbarer Hurerei, und waren Helden im Zechen.
Die Mönchs- und Nonnenklöster waren so voll Liederlichkeit und ge-
meiner Wollust, daß ehrbare Eltern anstanden, ihre Söhne oder Töch-
ter dahinein zu senden. Die Gottesdienste bestanden aus Nichts als
Messelesen und sonstigem tobten äußerlichen Werk. Vom Wort Got-
tes und Predigt war keine Rede. Nur die Bettelmönche und unter
diesen auch nur die Franciscaner, fuhren auch jetzt noch fort, sich seel-
sorgerisch und predigend umherziehend des armen Volkes anzunehmen.
Aber auch die Franciscaner waren in einer ärgerlichen Spaltung be-
griffen. Der größte Theil suchte sich gleich wie die Dominicaner von
dem Joche der Armuth loszumachen und die strengen Regeln des
Franciscus durchbrechend, sich die Genüsse des Reichthums wieder zugäng-
lich zu machen. Die strengere Partei war sogar von dem Papst in
den Bann gethan und in die gleiche Classe gesetzt mit den Brüdern
des gemeinsamen Lebens, den Begharden und anderen freien Vereinen,
welche nach Möglichkeit ein gottesdienstlich apostolisches Christenleben
wiederherstellen wollten und deshalb von der Geistlichkeit der Ketzerei
bezüchtigt wurden.
Fragen wir nun nach den Erfolgen jener schweren Heimsuchungen
Gottes, die jetzt nach 500 Jahren, wenn auch in abgeschwächter Form
wiederzukehren schienen, so müssen wir sagen, sie haben damals wie
jetzt wenig ausgetragen. Denn auch jene Flagellanten oder Buß-
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Extrahierte Personennamen: Franciscus
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Italien Deutschland Gottes
Xxiv. §. 1. Jesuiten und Inquisition.
523
von geistlichen Uebungen, als Fasten, Gebete, Betrachtungen, Selbst-
prüfungen, Entschlüsse, Gelübde, die zu bestimmter Zeit und nach fest-
stehender Regel mit einander wechselten. Zum zweiten aber in der
feindlichen Welt. Und da wollte der tapfere Kriegsmann zuerst nach
Weise der alten Kreuzfahrer im gelobten Lande gegen die Türken
den Kampf beginnen. Er reiste wirklich nach Jerusalem, und gewann
später, da er auf der Universität zu Paris seine theologischen Studien
machte, eine kleine Schaar Gefährten für denselben Zweck. Da sie
aber (1537) nach Venedig kamen, um ihre Wallfahrt nach Jerusalem
zu beginnen, fanden sie bald, daß das für jetzt unmöglich und auch
unnütz sei. So entschlossen sie sich denn, als eine Compagnie Jesu ihre
Dienste dem Papst anzubieten, zu unweigerlicher und uneigennütziger
Ausführung aller seiner Befehle, in jedes Land wollten sie gehen,
zu Türken, Heiden und Ketzern, wohin er sie senden werde. Der Papst
nahm keinen Anstand, diese eifrige und thatkräftige Verbindung zu be-
stätigen (1540). Er sah auf der Stelle, welchen Nutzen er von ihr
werde ziehen können. Einen solchen Orden hatte es noch nie gegeben.
Wie weit lag die stille Beschaulichkeit der alten Einsiedler und Klöster-
mönche, wie weit die gemüthliche Volkspredigt der Bettelmönche von
den Tendenzen dieser kriegerischen Ordensbrüder fern. Schnell hatte
ihr geistlicher Eifer, ihre beredte Predigt, ihr geschickter Unterricht,
ihre Selbstverleugnung in der Krankenpflege, zahlreiche Anhänger her-
beigezogen. Da ließ sich Ignaz förmlich zum Hauptmann, vielmehr
zum General der ganzen Verbindung ernennen. Ihm war Alles zu
militärischem, pünktlichem, unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Klöster
zu errichten, erschien als unwesentlich, Klostertrachten und Klosteran-
dachten waren von keiner Wichtigkeit — die Hauptsache war: zu Felde
liegen gegen die Feinde des Papstthums, beständig in Bewegung, in
jeder Stadt, in allen Ländern, wohin auch immer der Dienst sie rufen
mochte, welche Forderungen auch an sie gestellt wurden. Vor Allem
erfüllten sie Spanien, ihr Heimathland, von Portugal aus zogen sie
schaarenweise nach den portugiesischen Besitzungen in der Heidenwelt,
nach Brasilien, nach Ostindien, nach China und Japan. Man fand
sie in Aethiopien, wie man sie in Deutschland und Frankreich fand,
wir werden ihnen in Schweden und Polen begegnen. Zur Heranbil-
dung neuer Ordensglieder (Professen) wurden hier und da Collegien
gegründet. Geistliche Coadjutoren oder Scholastiker leiteten die Un-
terweisung der Novizen, weltliche Coadjutoren sorgten für die äußeren
Angelegenheiten der Gesellschaft und ihrer Häuser. Jedes Talent wurde
brauchbar gemacht, jede eigenthümliche Begabung durste sich frei und
ungehindert entwickeln, aber alle wurden in strengster Unterwürfigkeit
unter die Befehle der Oberen nur auf das eine Ziel hingerichtet, wur-
den sorgfältig eingeübt mit allen Mitteln, guten und bösen, die eine
große Sache zu erstreben: Befestigung und Ausbreitung des Katholi«
cismus, Ausrottung aller Ketzer.
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Extrahierte Personennamen: Ignaz
Extrahierte Ortsnamen: Jerusalem Paris Venedig Jerusalem Spanien Portugal Brasilien Ostindien China Japan Deutschland Frankreich Schweden Polen
Xxv. §. 4. Pietismus und Rationalismus in Deutschland. 573
Secten oder Jrrlehrer; sie standen noch immer wie auf der Warte, um
auch die geringste Abweichung von der festgestellten Lehrweise auszu-
spüren und sofort auf Tod und Leben zu bekämpfen. Darüber ver-
gaßen sie aber des hinschmachtenden Volkes zu ihren Füßen, liefen mit
Kolben und Streitart an den: Unglücklichen, der unter die Mörder
gefallen war, vorüber, um den Mordgesellen nachzulaufen, unbekümmert,
ob der auf den Tod Verwundete inzwischen qualvoll umkäme. Wir
müssen leider noch mehr sagen. Selbst da, wo nun ein barmherziger
Samariter auftrat, der vor allen Dingen sich das Trösten, Erquicken,
Verbinden und Heilen des armen Volks zu seiner Lebensaufgabe machte,
singen die streitfertigen Eiferer an zu mäkeln und zu schelten, und
kehrten wohl gar ihre Waffen gegen ihn. Wie viel haben die theuren
Gottesmänner, die wahrhaft barmherzigen Samariter, ein Spener
(ff 1705), ein Franke (ff 1727), von ihnen zu leiden gehabt. Aber
desungeachtet fehlte es ihnen nicht an Schülern und Nachfolgern. Von
Halle gingen Hunderte junger Theologen aus, die vor den Gemeinden
wieder das Evangelium als süßes Fried- und Freudenwort erschallen
ließen, und Hunderttausende evangelischer Herzen erbauen sich noch heute
mit inniglicher Dankbarkeit an den theuren Liedern und Erbauungs-
schriften eines Woltersdorf, Frehlinghausen, Schmolke, Rie-
ger, Bog atzky und wie die werthen Gottesknechte weiter heißen.
Aber diese einzelnen liebeglühenden Seelen vermochten doch nicht in
weiteren Kreisen die Eiseskälte aufzuthauen, welche sich hin und her
über die protestantische Kirche gelegt hatte. Was Wunder, daß bald
hier, bald dort und immer häufiger sich kleine Schaaren absonderten,
die Kirche verließen und separirte Gemeinden von lauter heilsbegierigen
Gliedern stifteten. Noch steht unter uns in Liebe und Ehre die reich-
gesegnete Brüdergemeinde des Grafen Zinzendorf. Ihre Entstehung
fällt in jene Zeit, von der wir reden (1722). Viele andere kleinere
Gemeinschaften entstanden vor ihr und nach ihr aus ähnlichem Be-
dürfniß. Aber unberathen und ungeleitet sind sie zum Theil in gefähr-
liche Jrrthümer und auf verderbliche Wege gerathen und fast sämmtlich
untergegangen. Auf der andern Seite aber erhoben sich bereits jene
Jrrgeifter, die wir schon in England und Frankreich kennen gelernt,
die Freidenker und Leugner der göttlichen Offenbarung. Zwar nicht
gleich so öffentlich, so frech, so schamlos wie in Frankreich, sondern
ganz ehrbar, bescheiden, philosophisch wie in England, ließ sich die
Sache an. Es wurde anfangs nur erst im engern Kreise der Gelehr-
ten über die Fragen verhandelt, ob denn die Bibel wirklich Gottes
Wort sei, und wie man sie auszulegen habe. Da führten noch per-
sönlich sehr fromme und von Herzen gläubige Männer das Wort, ein
Ernesti, Semler, Michaelis und Wettstein. Aber schon hatten
sie den Fuß auf die schiefe Ebene gesetzt, die ihre Schüler und Nach-
folger schnell in jähem Absturz in die Tiefen eines nackten und trost-
losen Unglaubens hinabreißen sollte. Die von Frankreich herüberstrei-
chende Luft versetzte unmerklich auch unser Volk in den Taumel, der
den Jrrthum mit der Wahrheit, die Finsterniß mit dem Licht, das
Verderben mit dem Heile verwechselt. Man fing damit an, an den
i
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Extrahierte Personennamen: Ernesti Michaelis
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Frehlinghausen England Frankreich Frankreich England Wettstein Frankreich
Xvi. §. 6. Sieg der Kirche und dessen Folgen. 261
und wenn er es jemals that, so geschah es doch nur erst kurz vor
seinem Tode, wo er auch erst die Taufe empfing (337).
Von der Hand ihrer Feinde, die schwer auf ihr gelegen hatte, war
also die christliche Kirche durch die neue Wendung der Dinge befreit,
um sofort wieder unter das schwerere Joch ihrer Freunde zu gerathen.
Denn die offene Feindschaft der heidnischen Kaiser mit ihren Fol-
terwerkzeugen, Richtschwertern und Scheiterhaufen, mit ihren reißenden
Thieren, glühenden Stühlen, Bratrost und siedendem Pech förderten
doch nur, wenn auch sehr gegen ihren Willen, die geistliche Gesund-
heit der Gemeinden. Die Willkürherrschaft der christlichen Kaiser
aber, die je länger je mehr sich die unbefugtesten Eingriffe in das in-
nerste Heiligthum des christlichen Glaubens und Lebens erlaubten, ver-
giftete unter täuschenden Gunstbezeugungen das Mark der Gemeinden
und ging bewußt oder unbewußt darauf aus, Christi Diener zu Für-
stendienern zu machen. Somit hatte der Kampf des Lichts gegen die
Finsterniß keineswegs seine Endschaft erreicht, sondern nur eine an-
dere Gestalt angenommen. Es blieb nach wie vor eine kleine Schaar
von auserwählten Gotteskindern, jetzt zwar nicht mehr umringt
von blutdürstigen Heiden, aber wohl von ungläubigen und un-
geistlichen Getauften, von despotischen Machthabern und irdisch ge-
sinnten Priestern und Bischöfen, und der Sauerteig der Wahrheit
mußte fort und fort sich durcharbeiten durch eine wüste Masse ge-
schmacklosen Mehls, um es mit der siegenden Kraft des Glaubens und
der Liebe zu durchsäuern. Und man konnte es spüren, daß solche
durchsäuernde Kraft im römischen Reiche wirksam sei. Die heidnische
Schamlosigkeit und Unsittlichkeit wagte nicht mehr ihre freche Stirn
öffentlich zu erheben. Man beugte sich vor der christlichen Tugend,
Treue, Keuschheit und Demuth. Die rohe heidnische Gefühllosigkeit
lernte sich schämen vor dem anspruchlosen Eifer christlicher Barmherzig-
keit. Wohlthätigkeitsanstalten wurden errichtet, für Verlassene, für
Kranke, für Wittwen und Waisen wurde gesorgt; die heidnische Skla-
verei wurde, wenn auch nicht aufgehoben, doch nach den Grundsätzen
christlicher Bruderliebe gemildert. Das Familienleben wurde ein ande-
res; die Vielweiberei, wo sie noch herrschte, mußte aufhören; die Väter
entsagten ihrer mißbräuchlichen Gewalt über ihre Kinder, und die Kin-
der lernten kindlichen Gehorsam gegen ihre Eltern. Bis in die Ge-
fängnisse der Verbrecher, bis in die wildesten Schlachten hinein erstreckte
sich der mildernde versöhnende Einfluß evangelischer Lehre und christ-
lichen Beispiels. Während unter immer erneuten furchtbaren Schlägen
von außen her die äußere Form des römischen Staats allmälig zu
Grunde ging, erstarkte innerlich das kirchliche Bewußtsein und das Ge-
fühl der Zusammengehörigkeit unter den Getauften, und jeder Zusam-
menstoß mit den rohen heidnischen Barbaren, die von Norden und
Osten hereindrangen, überzeugte die Kinder Gottes, daß immer noch
ein unendlicher Abstand sei zwischen jenen in Finsterniß und Rohheit
verlornen Heidenvölkern und den wenn auch ungläubigen und unbußfer-
tigen Gliedern der christlichen Kirche.
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Xxv. §. 15. Blick in die Zukunft.
677
den Heiden. Auf der entgegengesetzten Küste Coromandel, in Tranke-
bar, Madras und Umgegend ist die leipziger lutherische Gesellschaft
in das Erbe der alten hallischen eingetreten und hat dort einen neuen
Anfang gemacht. Andere deutsche Gesellschaften, wie die berliner
(seit 1823) und die rheinische (seit 1828), haben ihre Hauptar-
beitsfelder im südlichen Afrika, letztere außerdem noch in Borneo und
China. Noch andere Vereine stnd hinzugekommen: der norddeutsche
(bremer) mit seinen Stationen in Westafrika und Neuseeland, mehrere
speciell für China thätige Vereine in Pommern, Berlin und Cas-
sel. Auch einzelne hervorragende Glaubensmänner haben es unter-
nommen, selbständig Boten auszusenden, wie Goßner m Berlin,
Harms in Hermannsburg, Löhe in Neudettelsau u. A. Das ganze
evangelische Deutschland sammt der Schweiz ist rutt einem Netz von
Missionshülfsvereinen überdeckt; überall werden Missionsstunden, Mis-
sionspredigten gehalten, Missionsfeste gefeiert, man begegnet zurückge-
kehrten Missionaren im Vaterlande, man liest in den Zeitungen von
den außerordentlichen Erfolgen auf den Gesellschaftsinseln, unter den
Karenen, auf Neuseeland u. s. w. Die Heidenmission ist eine der wich-
tigsten Angelegenheiten der evangelischen Kirche geworden, und kein
evangelischer Christ kann sich ihr noch entziehen. Das fühlen auch
unsere Glaubensbrüder in fremden Ländern. In Holland und in Frank-
reich bestehen schon seit langer Zeit Missionsgesellschaften, die sehr
bedeutende Wirkungskreise auf den Sunda-Jnseln und in, Südafrika
haben. Auch der Norden sängt an sich zu regen. In Norwegen und
Schweden beginnt man ebenfalls Missionare auszusenden, und hoffent-
lich wird es nicht lange mehr dauern, bis auch Dänemark sich besinnt
und wieder auf die Spur seiner frömmeren Väter zurückkehrt, und wo
auch die russischen Ostseeprovinzen zu dem großen Beter- und Arbeiter-
bunde ihre Hände reichen, auf daß desto schneller die Zeit herankomme,
wo die Predigt des Evangeliums erschallet bis an die Enden der Erde,
denn dann wird das Ende kommen.
§. 15. Blick in die Zukunft.
Es wird ein Ende kommen, eine Ende der Menschenentwicklung
und der Weltgeschichte. Es wird nicht, wie so manche Leute träumen,
in alle Zeit, in alle Ewigkeit so fortgehen auf der Erde, wie es bis-
her gegangen ist, wie es jetzt vor unseren Augen geht. Ein plötzlicher
Bruch und Abschluß wird erfolgen, und dem Jagen und Treiben und
Schaffen der Menschen wird ein Ziel gesetzt. Das hat uns unser
Herr und Heiland auf das Bestimmteste und Zweifelloseste vorher-
gesagt. Es wird dann sein, sagt er, gleich wie zu den Zeiten Noah.
Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie
bauten, sie freieten und ließen sich freien, bis an den Tag, da Noah
in die Arche einging, und achtet-en es nicht, bis die Sündfluth kam
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Extrahierte Personennamen: Goßner Harms
Extrahierte Ortsnamen: Madras Afrika Borneo China Westafrika Neuseeland China Pommern Berlin Berlin Hermannsburg Neudettelsau Deutschland Neuseeland Holland Frank- Südafrika Norwegen Schweden
646 Xxv. §. 11. Christliche Anstalten und Vereine.
als das lebendige, evangelische Christenthum wieder unter der tobten
und gleichgültigen Masse der Getauften zu verbreiten und mit freien
Liebeskräften das zu thun, was die Kirche in den Zeiten ihres Ver-
falls versäumt hat und mit den bloß amtlichen Kräften auch jetzt nicht
wieder herbeibringen kann. Der Plan und Gedanke ging vorzüglich
aus von Wiehern, der 1833 das Rauhe Haus bei Hamburg grün-
dete, eine Erziehungsanstalt für verwahrlosete Kinder, wie deren schon
mehrere ältere in der Schweiz, in Württemberg und auch eins zu
Düsselthal in der Rheinprovinz vorhanden war. An die Wichern'sche
Anstalt schloß stch allmälig an ein Seminar für junge Männer, welche
als Arbeiter auf dem Gebiet der innern Misston, als Colonistenpredi-
ger, als Vorsteher von Rettungshäusern, als Aufseher von Gefäng-
nissen wirksam werden wollen. Von einer andern Seite her kam
Fliedner in Kaiserswerth dieser Arbeit zu Hülfe, indem er 1836
eine Diakon issen anstatt gründete, in welcher christliche Jungfrauen
oder Wittwen zu Pflegerinnen von Kranken und Armen, Lehrerinnen
in Kleinkinderschulen und Vorsteherinnen weiblicher Rettungshäuser
ausgebildet werden. Andere Anstalten zur Ausbildung von Diakonen
in ähnlicher Weise schlossen stch an, und allmälig überzog sich das
evangelische Deutschland mit einem Netz solcher Anstalten und Vereine,
die alles zu Tage liegende Unsittliche und Unchristliche in den Tageser-
scheinungen angriffen, und retten, helfen, lindern, trösten, vor Allem
aber den Armen das Evangelium predigen wollten. Da sind Jüng-
lings- und Gesellenvereine, Frauen- und Jungfrauenvereine, Tractat-
vereine, Vereine zur Verbreitung größerer evangelischer Schriften, zur
Anlegung von Volksbibliotheken, zur Aufnahme und Besserung ent-
lassener Sträflinge, zur geistlichen Pflege der Fabrikarbeiter, der Eisen-
bahnarbeiter, der Schiffer, der Dienstboten u. s. w., Vereine für die
Sonntagsheiligung, für die Abschaffung des Branntweins, für die
-Aufhebung der Hazardspiele, für die Besserung des Gefängnißwesens,
für kirchliche Armenpflege, Vereine zur Unterstützung der Geistlichen
mit pastoraler Hülfe, zur Gründung evangelischer Gemeinden in katho-
lischen Gegenden, zum Bau und Unterhalt evangelischer Kirchen und
Schulen, kurz was nur irgend eine Anfassung und von außen kommende
helfende und bessernde Wirksamkeit zuläßt, das ist bereits von glau-
bensfreudigen und liebeseifrigen evangelischen Christenherzen in Angriff
genommen und Neues bereitet sich vor.
Man sollte nun meinen, daß dieser umfassenden und energischen christ-
lichen Liebesthätigkeit die alte Lauheit, Gleichgültigkeit, Unwissenheit und
Religionslosigkeit der Massen längst gewichen, oder doch sichtlich im Weichen
begriffen sei. Aber das ist durchaus nicht der Fall. Zu tief und allgemein
hat sich der Unglaube seit einem Jahrhundert in die verschiedenen Schichten
der Bevölkerung eingefressen, zu ungenügend sind noch immer die Mittel
zu seiner Bekämpfung, zu gewaltig sind die Kräfte des Abgrunds wie-
der aufgestanden, als daß an eine schnelle sichtbare Veränderung, an
eine allgemeine Rückwendung zum Glauben zu denken wäre. Der Un-
glaube der abgewichenen und um den väterlichen Glauben betrogenen
Christenheit hat eine furchtbare Zähigkeit und es gilt von dem großen
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Fliedner
Extrahierte Ortsnamen: Hamburg Schweiz Württemberg Kaiserswerth Deutschland
Xix. §. 2. Irische Heidellboten und ihre Klöster. 325
fee, an der obern Donau ein neues kräftiges Christenleben, und die
heidnischen Götzen und Heiligthümer stürzten dahin. Etwas später
kam aus Irland auch der werthe Märtyrer Kilian nach dem Main,
nach Würzburg, wo er um der Wahrheit willen den Tod erlitt. Wie
gesegnet ihr Vorgang und Beispiel auf die fränkische Kirche zurück-
wirkte, zeigt die Schaar fränkischer Priester und Bischöfe, die sich jetzt
gleichfalls aufmachten und in dasselbe Missionsfeld eintraten, z. B. der
Bischof Emmeram von Poitiers, der in Regensburg erschlagen
wurde, Bischof Rupert von Worms, der, als ihn ein gottloser Haufe
aus seinem Bisthum verjagte, nach Salzburg wanderte, die ganze
Umgegend vom Götzendienst reinigte und überall christliche Kirchen
und Klöster errichtete. Endlich Corbinian von Chartres, der von
Freisingen aus ganz Tirol der christlichen Kirche wiedergewann. Da
lebten alle die alten durch die Völkerwanderung zerstörten christlichen Kir-
chen und Bisthümer wieder auf, und Alemannien, Bayern und Salz-
burg sammt den deutschen Alpenländern wurden auf's Neue der christ-
lichen Kirche einverleibt.
Diese ganze irische Mission, sowie auch die spätere angelsächsische,
ruhte wesentlich auf der Einrichtung der Klöster, von denen wir des-
halb noch etliche Notizen beifügen. Von dem Morgenlande, wo es
zuerst entstand, war das Klosterleben im 4. und 5. Jahrhundert nach
dem Abendlande hinübergedrungen und hatte dort eine durchgreifende
Umgestaltung, eine segensreiche Erneuerung erfahren. Das thatkräf-
tigere Geschlecht der westlichen Länder konnte sich nicht mit dem Ge-
danken befreunden, in der müßigen Abgeschiedenheit klösterlicher Mauern
nur selbsterwählten, religiösen Uebungen obzuliegen, oder sich mit
schwärmerischen Betrachtungen und spitzfindigen Fragen zu beschäftigen.
Aber es erkannte bald den großen Vortheil wohlgesicherter christlicher
Anstalten, von denen aus eine Menge in geistlicher Zucht wohlgeübter
Männer und Frauen in helfender, berathender, belehrender Weise weit-
hin auf die Umgebung einwirken könnte. So blieben die Klöster des
Abendlandes keineswegs nur die tröstlichen Zufluchtsstätten für
fromme und bußfertige Seelen, die, des Weltlebens müde, in klöster-
licher Zurückgezogenheit die Ruhe und den Frieden ihres Herzens wie-
dergewinnen oder bewahren wollten. Sie wurden schnell auch Schulen
und Bildungsstätten nicht bloß künftiger Geistlichen, sondern des jüngern
Heranwachsenden Geschlechtes, sie wurden die Armenanstalten, die Kran-
kenhäuser, die Zufluchtsstätten für alle Nothleidenden, die Bergungs-
orte für Verfolgte und Obdachlose, die Raths- und Gerichtshäuser für
alle Christen, welche frommen und unparteiischen Rath und Entschei-
dung in geistlichen und bürgerlichen Angelegenheiten suchten. So war
es nicht bloß in Italien und den südlichen Ländern, so war es auch
in dem nördlicher gelegenen Irland. Zur Zeit, als die heidnischen
Angelsachsen in Britannien die Kirchen zerstörten und Tausende von
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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